Kürzlich wurde ich auf ein spannendes Buch aufmerksam: „Reinventing Organizations (visuell). Ein illustrierter Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit“ von Frederic Laloux. Unglaublich spannend geschrieben und es enthält so viel Neues – so mein erster Eindruck.
Wie heißt es im Untertitel des Buchtitels so schön: „Ein illustrierter Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit“. Selten fasst ein Untertitel den Inhalt eines Buches auf so frappierend passende Weise zusammen.
Es geht Frederic Laloux um sämtliche Formen der Zusammenarbeit – wohlgemerkt schränkt er die Organisationen, die er im Fokus hat, bei weitem nicht auf denen von Unternehmen ein. Er betrachtet Non Profit-Organisationen, NGOs, soziale Einrichtungen, Krankenhäuser, Vereine und vieles mehr.
Es bedarf eines gewissen Mutes zum Andersdenken, zum Loslassen von vermeintlich Sicherem, Bekanntem, Vorhersagbarem, um Frederic Lalouxs Weg folgen zu wollen und erst recht zu können. Und doch zeigt er uns keine eindeutigen Navigationsanweisungen auf, um die neue Ziele zu erreichen. Vielmehr versetzt er uns die Lage, diese Wege selbst aufzutun, getrieben von Spirit, dem Mut der Verletztbarkeit, des Verzweifelns, Hoffens, Wollens und des Könnens. Ein spirituell angehauchtes Buch zur Organisationsentwicklung? Vielleicht – zu Recht wird der Leser dem sicherlich eine gesunde Portion Skepsis entgegenbringen.
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Bevor wir uns des Buches im Detail annehmen, sei erwähnt, dass es sich beim betreffenden Buch um die sogenannte visuelle Ausgabe des Buches „Reinventing Organizations“ handelt (man beachte die fehlende Ergänzung „visuell“). Beim letzterem handelt es sich um ein klassisches Management-Handbuch, welches kaum Bilder, viel Text, viele engbeschriebene Seiten, oftmals trockene Sätze, etc. aufweist. Frederic Laloux wollte aber dazu einen Gegenentwurf anbieten: Ein Handbuch, textlich sehr locker und mit großer Leichtigkeit geschrieben. Untermauert hat er diesen Anspruch mit den wunderbaren Illustrationen von Etienne Appert. Wer also tiefer in die Thematik einsteigen möchte, dem sei die „nicht-visuelle“ Ausgabe dieses Buches ans Herz gelegt.
Nun aber zum eigentlichen Inhalt des Buches:
Frederic Laloux leitet den ersten Teil seines Buches mit der Erklärung ein, weshalb er bei der Erstellung seines Werkes unkonventionell vorgeht: Ein Managementbuch mit nur so wenig Seiten und comic-artigen Darstellungen? Zudem erklärt er seine Recherchemethoden: In drei Jahren hat er etwa 50 Organisationen untersucht, welche die neuen Organisationsansätze erfolgreich anwenden und die den zugrundeliegenden Kriterien erläutert. Beispielhaft seien verschiedene im späteren Verlauf betrachtete Unternehmen wie der französische Autozulieferer FAVI, der niederländische Pflegedienstleister Buurtzorg, der US-amerikanische Energieproduzent AES oder der deutsche Krankenhausbetreiber Heiligenfeld genannt.
Im nächsten Schritt weist der Autor auf die Gründe hin, die es notwendig erscheinen lassen, an der Art und Weise, wie wir unsere Organisationen aufgebaut haben und wie wir sie führen, zu zweifeln. Sollten wir nicht neue Wege finden?
In einer Retrospektive wird uns aufgezeigt, dass die Entwicklung der Menschheit merkwürdigerweise nicht linear, sondern in plötzlichen Sprüngen erfolgte. Jeder Sprung ist dadurch gekennzeichnet, als dass sich grundlegend alles ändert. Es besteht ein begründeter Anlass zur Überlegung, dass wir derzeit vor einem neuen Sprung stehen. Jeder Sprung wird im Buch durch eine bestimmte Farbe dargestellt – sowohl bei der Wortwahl wie auch in den entsprechenden Illustrationen. Wie ich finde, ist dies ein wesentlicher Grund dafür, dass die Illustrationen das Geschriebene sehr gut unterstützen und dem Leser immer wieder Halt und Orientierung geben.
Im ersten Schritt („die impulsive Weltsicht“– rot) waren die Organisationen dadurch gekennzeichnet, dass es nur Clans gab, keine Häuptlinge, keine Machthierarchien und keine Arbeitsteilungen. Auch in heutigen Zeiten begegnen uns zuweilen diese Formen der Organisation – denken wir nur an die Mafia und deren Paten.
Der nächste Sprung („die traditionelle konformistische Weltsicht“ – bernsteinfarben) entstand vor etwa 4.000 Jahren. Die in der vorangegangenen Stufe vorherrschende dominierende Impulsivität wurde gezügelt, es wurden Kasten und soziale Klassen eingeführt. Grundlegende Regeln dienten der Orientierung innerhalb der Gemeinschaften.
Uns allen bekannt ist das Ergebnis des nächsten Sprungs („die moderne leistungsorientierte Weltsicht“ – orange). Sie ist gekennzeichnet durch Faktoren wie Innovation, Verlässlichkeit und dem Leistungsprinzip. Für die weitere Entwicklung des Buches von hoher Bedeutung ist die bestimmende Metapher von Organisationen als Maschinen.
Der zuletzt erfolgte Sprung („die postmoderne pluralistische Weltsicht“ – grün) zeigt die Formen der Zusammenarbeit heutiger Organisationen auf, welche von sich in Anspruch nehmen, Aspekte wie Empowerment, eine werteorientierte Kultur und die Integration verschiedener Interessensgruppen zur Grundlage ihres Handelns zu machen. Organisationen sind nicht mehr länger als Maschinen zu sehen, sondern vielmehr als Familien.
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Nun könnte man der Ansicht sein, der Sprung in die postmoderne pluralistische Weltsicht könnte ein für alle Organisationen erstrebenswertes perfektes und vielleicht auch finales Ziel sein, da unter anderem das Glück eines jeden Mitglieds für den Erfolg einer ganzen Organisation von entscheidender Bedeutung ist (für die zugrundeliegende Herleitung verweise ich auf das entsprechende Kapitel im Buch). Weit gefehlt – auch nach erfolgtem bislang letztem Sprung in diese Phase haben wir Problemen wie die kaum beherrschbare Komplexität von Organisationen oder den kaum begegneten Sehnsüchten der Menschen nach einem „Loslassendürfen“ des eigenen Egos, einer Suche nach Ganzheit, dem Hören der inneren Stimme als Kompass sowie dem Streben nach einem Ort der individuellen und kollektiven Entfaltung nicht ausreichend Ausdruck verliehen. Alle nachfolgenden Kapitel betrachten den nächsten denkbaren Sprung („die integrale evolutionäre Weltsicht“ – petrol).
Manch ein Leser vermag nun der Versuchung erlegen, an diesem Punkt nicht weiterlesen zu wollen: Streben nach Glück? Individuelle und kollektive Entfaltung? Suche nach Ganzheit? Ist das nicht alles zu sehr gewagt, unrealistisch und hat es in der Wirklichkeit unserer Gesellschaft nichts verloren? Aber es lohnt sich, weiterzulesen! Frederic Laloux beschreibt ganz konkret und realistisch am Beispiel sehr erfolgreicher Unternehmen, wie diese die Transformationen (inhaltlich partiell oder im Ganzen sowie zeitlich unterschiedlich) umsetzten und welche nachweisbare Vorteile und Erfolge damit verbunden sind.
Im zweiten Teil wird uns anhand von Fallbeispielen aufgezeigt, wie die neuen Organisationen arbeiten. Grundvoraussetzung ist es, Organisationen nicht länger als starre Maschinen, sondern vielmehr als lebendige Systeme anzusehen. Diese Systeme führen sich letztendlich selbst. Die Vorstellung von sich selbstführenden Systemen ist in der Natur eine Selbstverständlichkeit und war Voraussetzung für sämtliche evolutionären Prozesse. Es wird uns dargestellt, warum wir falsch in der Annahme liegen, wir bräuchten Machthierarchien und Pyramiden. Und nein – es ist kein erklärtes Ziel, die Macht an alle zu verteilen. Vielmehr sollten alle Macht haben. Klingt verwirrend? Frederic Laloux klärt diesen Punkt im Buch sehr detailliert und vor allem nachvollziehbar auf. Zentraler Aspekt der neuen Organisationen ist das Beratungskonzept. Es ist spannend zu lesen, wie unter Einbeziehung des Beratungskonzeptes der niederländische Pflegedienstleister Buurtzorg (immerhin ein Unternehmen mit mehr als 9.000 Mitarbeitern) am Beispiel einer grundlegenden konkret beschriebenen Unternehmensentscheidung, für die früher wochenlang andauernde Entscheidungswege implementiert wurden, diese nun innerhalb von 24 Stunden treffen konnte. Eines von vielen Beispielen – ganz real und praxisbezogen in der Nachvollziehbarkeit. Weiter werden Aspekte wie Anreize und Bezahlung, Fragen zum Leistungsmanagement und die Differenzierung zwischen Macht- und natürlichen Hierarchien untersucht – ebenfalls nah an der Realität und konkret verdeutlicht anhand von Praxisbeispielen.
Viel Raum lässt der Autor dem Thema der Suche nach Ganzheit. Emotionalität, Intuitivität, Rationalität und Spiritualität als unvermeidbare, weil nicht ausblendbare Einflussfaktoren des Ausdrucks unseres Daseins und unseres Handelns und Nichthandelns. Wie gehen wir in Zeiten der postmodernen pluralistischen Weltsicht damit um? Können und dürfen wir diese Punkte ausblenden? Welche Rolle kommt der Schaffung einer emotional sicheren Umgebung zu? Wie schaffen wir in dem Zusammenhang einen gemeinsamen Bezugspunkt, um andere auf diese Reise mitzunehmen? Wie gestalten wir die uns bekannten Instrumente wie die Reflexion, das Storytelling, die Meetings und vieles mehr neu oder passen sie den veränderten Vorstellungen an? Auch spart der Autor manche uns bekannte Begriffe wie Verpflichtungen und Leistungsbeurteilungen nicht aus. Vielmehr werden auch für diese Punkte konkrete Lösungen vorgestellt, wie sie Unternehmen einsetzen, die ihre Organisationen bereits nach integralen und evolutionären Aspekten neu ausrichten. Anschließend geht Frederic Laloux auf die Sinnhaftigkeit der neuen Organisationsformen ein und zeigt auf, inwiefern diese für einen übergeordneten Sinn stehen.
Im letzten und dritten Teil wird uns dargestellt, wie eine Transformation auf eine neue Organisationsebene umsetzbar ist. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, wie gehen wir mit Veränderungen um und wie mit Ängsten oder gar Widerständen? All dies spiegelt Frederic Laloux wieder an konkrete Transformationen einiger der von ihm untersuchten Unternehmen. Er richtet sich dabei nicht nur an die primären Entscheidungsträger herkömmlicher Organisationen, sondern rückt Beschäftigten sämtlicher herkömmlicher Hierarchiestufen im Fokus seiner Überlegungen.
Frederic Laloux schließt sein Buch mit weiteren Quellen (Bücher, Wikis, Blogs und Websites) zu dem Besprochenen und macht Mut, sich den aufgeführten Überlegungen nicht zu entziehen.
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Ein spannendes Buch, welches viele Fragen beantwortet, neugierig macht und den Leser fesselt. Dennoch zeigt es keine abschließenden Wege auf, gibt keine „Handlungsanweisungen“ oder verweist auf Checklisten jedweder Art.
Natürlich ist man immer wieder bemüht, die dargestellten Dinge in Frage zu stellen. Kaum hat man diese Überlegungen angestellt, holt einen der Autor auch schon wieder ab und widerlegt die Argumente, die man sich im Inneren schon einmal bereitgelegt hat. 🙂
Zettelt der Autor mit diesem Buch eine Revolution an? Vielleicht. Die Zukunft bleibt spannend.
Für mich eine klare Buchempfehlung!
Weiterführende Links:
Verlagspräsentation zum Buch (kein Affiliate Link)
Webseite zum Buch
Portal zum Thema

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Wirklich guter und interessanter Artikel zum illustrierten
Reinventing Organisations. Herzliche Grüße Elke Overhage
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